Freitag, 15. Januar 2016

Das EU-Politbüro und der widerspenstige Osten



EU-Größen wie der charismatische Kommissar Oettinger und eine Zillion deutscher Chefredakteure nehmen sich seit Monaten die Ungarn und Polen öffentlichkeitswirksam zur Brust. Nicht nur deren Regierungen, sondern auch deren "falsch" wählenden Bevölkerungen.

Natürlich sind Sie, werter Leser, geschichtlich gebildet, aber zur kurzen Erinnerung, wovon wir sprechen, schauen wir uns zwei, drei historische Fakten an:

Da weht er, der Mantel der Geschichte
Im Zweiten Weltkrieg marschierte die Wehrmacht zuerst gen Osten, in Kooperation mit Stalin, mit dem man sich die kleinen Länder aufteilen wollte. Teile dieser "Allianz" sind in gewisser Weise bis heute erhalten geblieben, wie man bei vielen medialen Diskussionen wie jüngst der Ukrainekrise erleben kann, in denen man sich auf dem Rücken der Osteuropäer mit Putin verständigen möchte. Nur den russischen Bär nicht vergrätzen! Polen, Ukraine, Baltikum - Verhandlungsmasse.

Polen hat es als besonders widerborstiger Gegner der Sowjets und später der Russen geschafft, sich früh zu emanzipieren, siehe die Solidarnosc-Regierung. Sie haben sich die Demokratie - im Gegensatz zu uns im Westen - hart erkämpft.

Die Ungarn waren sogar noch früher dran mit ihrem Wunsch nach Freiheit und konnten 1956 durch einen blutigen Einmarsch der Sowjets wieder auf Linie bringen lassen. Mehr als 30 Jahre später hatten wir bzw. die DDR-Bürger den Ungarn viel zu verdanken. Erst deren offene Grenzpolitik machte es möglich, dass später auch die innerdeutsche Grenze fiel.

Wer nicht hören will, bekommt den Oettinger
Wenn sich nun ausgerechnet ein deutscher EU-Kommissar wie Herr Oettinger nicht entblödet, Polen eine Fremdregierung anzudrohen, lässt das nicht nur auf seine geschichtliche und kulturelle Sensibilität schließen, es spricht auch in der Sache Hohn.

Was werfen unsere Politik und Medien in seltsamem Gleichklang Dingen Ungarn, Polen und anderen Ostländern vor? Dass sie konservativ gewählt haben. Dass sie primär eigene, nationale Interessen berücksichtigen. Dass die Wahlsieger ihre politischen Auffassungen in Justiz und öffentlich-rechtlichen Medien wiederfinden wollen.

Ausgerechnet wir werfen das diesen und anderen Ost-Ländern vor? Haben Sie das Gefühl, dass unsere Medien schonungslos alles berichten, was die Gesellschaft bewegt?

Besser die Bangkok News lesen
Nein, ich glaube nicht wie die irren Aluhutträger an irgendwelche Direktiven aus dem Kanzleramt. Eher an das schlimmere Szenario! Die servile Berichterstattung geschieht ganz freiwillig. Inzwischen spricht die halbe Welt darüber, wie sehr bei uns alles unter den Teppich gekehrt wird, was den kulturellen Frieden im Wattebäuschchen gefährden könnte. Nur ein Beispiel: Köln - und damit meine ich nicht die widerwärtigen Vorfälle gegen die Frauen, über die nach immerhin bereits vier Tagen berichtet wurde. Sondern ich meine die Tatsache, dass der Kölner Dom stundenlang mit Raketen beschossen wurde, das Bauwerk, das wie kein zweites in Deutschland als Symbol für die christliche Kirche gilt.

Bis nach Thailand konnte man in der dortigen Presse Unverständnis darüber lesen, wie respektlos hier eines unserer wichtigsten, religiösen Symbole behandelt und wie wenig sich darüber aufgeregt wurde. Hand aufs Herz: Haben Sie dazu auch nur einen einzigen Beitrag im TV oder in größeren Printmedien gesehen? Noch eine Hand drauf: Wie hätte wohl die Berichterstattung ausgesehen, wenn Rechtsextreme stundenlang eine Moschee oder Synagoge mit Raketen beschossen hätten?

Unsere Politiker und Medien sollten den Ball gegenüber Osteuropa ganz flach halten. Ein Land, in dem es seit Jahren keine nennenswerte Opposition, keinen offenen Diskurs über Grundsatzfragen, keinerlei Volksabstimmungen über existenzielle Themen, keine wirklich plurale, hart über die Realität berichtende Medienlandschaft gibt - so ein Land sollte es sich verdammtnochmal verkneifen, anderen Nachhilfe in Demokratie und Meinungsfreiheit zu erteilen. Habe fertig!

Freitag, 8. Januar 2016

Die Versager Charts



Zu den widerlichen Ereignissen von Köln ist inzwischen das meiste gesagt worden. Nur eine einzige Bemerkung sei erlaubt, bevor ich den größeren Bogen spanne: Wirklich überraschend war das nicht. Diese immer nach ähnlichem Muster zusammengesetzte und dann auch vorgehende Gruppe asozialer Gewalttäter gibt es schon lange. Nur haben die Medien das nie wirklich zum Thema gemacht und damit komme ich zum Kern meiner Ausführungen, nämlich einer kleinen Hitparade der Schande: Den beiden großen Versagern des Jahres 2015. Die sind nicht nur für grandioses Scheitern verantwortlich, sondern auch für eine regelrechte Zeitenwende: Die totale Entfremdung vom politisch-medialen System.

Platz 2: Die Politik - willkommen im Ein-Parteien-Parlament

Auch wenn sie kommunikativ ständig verdroschen werden - und das vollkommen zu Recht -, haben sie sich den Platz auf dem Thron nicht verdient. Dennoch war es eine reife Leistung, was unsere Polit-Riege im letzten Jahr geschafft hat: Eine in puncto Vertrauen ohnehin erodierende Situation noch einmal drastisch zu verschlechtern. Ein Wortbruch jagt den nächsten, von der Maut über die Transferunion bis hin zur Einwanderungspolitik haben Handelnde wie die Kanzlerin ihre eigenen, öffentlich gemachten Versprechen glatt gebrochen. Wo deutsche Politik früher dröge, bürokratisch und kompliziert war, konnte sie doch meist als eines gelten: Als verlässlich. Ärmelschoner verhießen zumindest Seriosität.

Während aus den Reihen der deutschen und EU-Politik Ländern wie Ungarn oder Polen Ratschläge erteilt werden, agieren unsere Regierenden inzwischen wie selbstherrliche Monarchen. Eine in der Bevölkerung krass abgelehnte Einwanderungspolitik wird nicht nur nicht korrigiert, sondern das Grundprinzip beibehalten. Was das Gefühl der Ohnmacht vieler Menschen steigert, ist das Fehlen jeglicher politischer Opposition: Es hat schon etwas Bizarres, dass die Kanzlerin aktuell bei den Oppositionsparteien wie den Grünen beliebter zu sein scheint als in den eigenen Reihen - aus denen niemand ernsthaft einen Diskurs anstößt. Um das Lange kurz zu machen: Die Politik regiert wie ein amorphes Ein-Parteien-Gebilde, viele Menschen finden im Parlament keinerlei Projektionsfläche mehr für ihre Auffassungen.


Platz 1: Die klassischen Medien - willkommen in der Selbstzensur

Was bleibt einem von der Politik Entfremdeten übrig? Früher die Hinwendung zu den Medien als quasi vierte Gewalt im Staat. Wer erinnert sich nicht an die Schlachten, die SPIEGEL, Stern oder die BILD früher schlugen? Manchmal unsachlich, oft agitatorisch, aber meist mit klarer Kante und sehr unterschiedlichen Standpunkten. Echter Diskurs eben, der die Republik bewegte.

Und heute? Selbstzensur auf ganzer Strecke. Welch merkwürdiges Berufsethos hat inzwischen in die Redaktionen Einzug gehalten. Zugegeben, der deutsche Journalist war im Gegensatz zum angelsächsischen schon immer davon beseelt, seine Leser zum besseren Menschen zu erziehen und zu belehren, aber die Pluralität der Standpunkte gab immerhin die Möglichkeiten, diese mit den eigenen abzugleichen. Inzwischen macht es kaum noch einen Unterschied, zu welchem Medium man greift, die Sprachregelungen ähneln sich: Parteien außerhalb des Parlaments erhalten entsprechende Attribute wie "ultra", "rechts", "neo" oder "populistisch", um sie schon vor dem eigentlichen Denkprozess einer Meldung zu desavouieren. 

Reale Probleme vieler Menschen, die den medial-politischen Konsens einer "bunten Gesellschaft" aufkündigen könnten, werden totgeschwiegen oder relativiert. Dem allergrößten Teil der Redakteure scheint vor allem eins im Nacken zu sitzen: Die Angst vor imaginären braunen Horden, die schon morgen durch die Republik stiefeln könnten. Selbst brave Bürger, die nichts anderes tun, als demokratische Rechte wahrzunehmen und ihre Ängste auf der Straße zu artikulieren, werden entsprechend anmoderiert und vor Mikrofonen lächerlich gemacht, nach dem Motto: "Schaut Euch die tumben Deppen an, höhö."

Der fatale Eindruck, den viele Medien damit erwecken: Sie seien im Bunde mit den Mächtigen. Ob das nun bewusst geschieht oder eher aus eigener Weltanschauung heraus, ist am Ende sekundär - viele Medien haben ihre Rolle als glaubwürdige Kontrollfunktion verloren.

Haben sie daraus irgendetwas gelernt? Mein bisheriger Eindruck: Keineswegs. Stattdessen weinerliche Berichte über "Lügenpresse" Vorwürfe. Selbstkritik: Fehlanzeige - da marschieren Politik und Medien eingehakt im Gleichschritt.


Der europäische Frühling kommt von unten

Das Ying Fazit: Die Entfremdung von Politik und Medien beschleunigt sich - am Gipfel ist sie noch nicht angekommen. Der ist für die Politik dann erreicht, wenn die Wahlergebnisse endgültig kippen wie in unseren Nachbarländern. Erst wenn die Jobs auch bei der Basis flöten gehen, wackeln die Stühle der Regierenden.

Das Yang Fazit: Das Sterben der klassischen Medien hat begonnen. Gut so! Wir sind bereits erwachsen und benötigen keine Erziehung qua Medien, keine oberste Instanz, die entscheidet, welche gefilterten Nachrichten wir erhalten dürfen und welche nicht, keine Morgenmagazine, Nachrichtenportale oder große Zeitungen, die uns ihre immer gleiche Meinungssicht der Dinge mitteilen - unsere Gesellschaft braucht aktuelle Medien, die gerne auch polarisieren dürfen, aber uns nichts vorenthalten oder mit einem seltsamen "Neusprech" bedienen, sondern auf Information setzen.

Die Entfremdung von den Institutionen ist ein schmerzhafter, am Ende aber vielleicht genau der notwendige Prozess, um nach einer Phase der Turbulenz und Neubesinnung wieder zu den Ursprüngen zurückzukehren: Einer Demokratie, die den Namen verdient und einer Medienlandschaft, die wahrhaft plural ist.

Mit den derzeit Handelnden wird das nicht gehen.

Donnerstag, 10. September 2015

Tschüss, Tagesschau!

Abschiede tun immer ein bißchen weh. Und einem Gewohnheitstier wie mir fällt es besonders schwer, auf geliebte Rituale zu verzichten. Aber nun ist es Zeit, das Taschentuch herauszuholen und Dir zuzuwinken.

Wie oft, werte Tagesschau warst Du für mich ein Fels in der Informationsbrandung, wieviel Autorität verkörperten Deine Sprecher? Vom Allzeitkönig Karlheinz Köpcke bis zur Hamburger Diva Dagmar Berghoff. DER feste Termin in deutschen und auch meinem Wohnzimmer: Zwanzichfuffzehn! Wir Kinder mussten leise sein, weil Papa ein Interview von Ernst-Dieter Lueg mit Herbert Wehner hören wollte. Ganz mein alter Herr übernahm ich die Gewohnheiten, auch meine Kinder durften keinen Mucks machen, wenn die Melodie das Wohnzimmer beschallte, im Grunde eine Ersatz-Nationalhymne der Deutschen.

Nu' is Schluss. Nicht nur mit Dir, Tagesschau, sondern auch gleich mit allen anderen Nachrichten im Öffentlich-Rechlichen, ach was, im kompletten, deutschen Free TV. Mit Dir hadere ich immerhin, RTL&Co sind nicht satisfaktionsfähig, von der Heulsuse Claus Kleber ganz zu schweigen. Was hat unsere Beziehung vergiftet?

Für mich ist schwer erträglich, was inzwischen, ich kann es einfach nicht anders ausdrücken, manipulativ ausgesucht und formuliert wird. Ein zwei Meter großer, 18jähriger Koloss, der erst einen Ladenbesitzer beklaut, dann zu Boden stößt, anschließend einen Polizisten entwaffnen will - alles belegt und bewiesen - und dabei zu Tode kommt, wird bei Euch zu einem "unbewaffneten Teenager", als hätte ein Bulle einen 13jährigen abgeknallt, weil er über den Rasen lief. Das einzige Land, das in der aktuellen, europäischen Krise von Anfang an auf die Einhaltung der EU-Gesetze drängte, wird bei Euch portraitiert, als handle es sich um ein Sammelbecken finsterster, rassistischer Schergen und dessen Regierungschef als wäre er der Leibhaftige. Kein Thema zu moderner Technik oder Wissenschaft, ohne dass ein Greenpeace Sprecher seinen Senf dazu geben darf und natürlich vor den Folgen warnt. Ein kürzlich verübter, barbarischer, politisch und rassistisch motivierter Mord vor laufender Kamera wird nicht thematisiert und kommentiert, weil die Hautfarben nicht ins übliche Schuldschema passen. Sonst seid ihr gleich mit betroffen dreinblickenden Reportern vor Ort, warum dieses Mal nicht?

Und so weiter und so fort. Ja, ich bin weinerlich an dieser Stelle, ganz gegen meine Art, weil... siehe oben, manche Veränderung will man einfach nicht schlucken. Aus einem seriösen Flaggschiff der Information, das primär informierte, wurde eine Sendung, die vor allem Meinung machen soll. Leider. 
Und leider werde ich Judith Rakers nicht mehr sehen können.
Das schwerste Opfer von allen!

Freitag, 5. Dezember 2014

Ein neuer Wagen für den Sheriff



Vor kurzem las ich mit gewissem Vergnügen, wie in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo im Mittelwesten der Wahlkampf um den Posten des Sheriffs tobte. Während der bestehende Polizeichef den leichten Überschuss des letzten Jahres in die Stelle eines neuen Deputys investieren wollte, plädierte sein politischer Gegner für die Anschaffung eines neuen Streifenwagens. Die kleine Gemeinde fand die Argumente des Gegenkandidaten überzeugender, wählte den Sheriff aus dem Amt und erfreut sich nun an einem nagelneuen Dodge Charger, der aus ihrer Sicht für mehr Sicherheit in der abgelegenen Kommune sorgt, in der es manchmal eine Stunde dauerte, bis die Polizei vor Ort erschien.

Ob Sheriff, oberster Staatsanwalt, Bürgermeister oder Vorsitzender des Energieversorgers - in den Staaten wird auf lokaler Ebene so gut wie alles gewählt, was Dienstleistungen für seine Bürger erbringt. Washington ist weit, Parteien spielen kommunal so gut wie keine Rolle und man will wissen, mit wem man es zu tun hat und wofür der Kandidat steht.

Hand aufs Herz: Kennen Sie den Namen Ihres Polizeichefs? Oder desjenigen, der die Geschicke der Wasserwerke, der Abfallbeseitigung oder der Justiz an oberster Stelle in Ihrem Kreis oder Ihrer Stadt lenkt?

Wenn ich hin und wieder politisch träume, dann wünsche ich mir zwei wesentliche Elemente der amerikanischen Demokratie: Das Personen- und das Mehrheitswahlrecht, von Volksabstimmungen ganz zu schweigen. Beidem gebe ich allerdings keine reale Chance zur Umsetzung. Politiker, die sich konkreten, von der Bevölkerung gewünschten Zielen verschreiben, werden bei uns bizarrerweise als "Populisten" verleumdet - könnte es einen eindeutigeren Hinweis darauf geben, wie sehr wir uns selbst gern in die Rolle des Untertans begeben?

Maximal ein Promille unserer Bevölkerung regiert über den Rest - alle befinden sich im Besitz von Parteibüchern. Wie komme ich auf die Zahl? Rund ein Prozent aller Deutschen sind Mitglied in einer politischen Partei. Hiervon dürften maximal zehn Prozent an die wirklich wichtigen Posten kommen, weshalb letztlich eine kleine Kaste Auserwählter für die oben beschriebenen Tätigkeiten in Frage kommt: Den Chef der Stadtwerke, des Zweckverbandes, der Landespolizei usw. Ohne sich je einer Wahl der Bürger gestellt zu haben. Selbst noch so kompetente Vertreter scheitern bei einer Bewerbung so gut wie immer, wenn sie nicht das passende Parteibuch besitzen.

Fast noch wichtiger finde ich das Mehrheitswahlrecht, das bei einem überzeugten deutschen Konsensbürger ungefähr so beliebt ist wie ein gezielter Bauchschuss. Dass man einer einzigen Partei die Macht übergibt, sie damit auch für alle Versprechen haftbar machen kann, ist hier zu Lande unvorstellbar. Wo soll denn da der Umweltschutz herkommen? Bitte bei Gelegenheit hierzu nachlesen, wo Flottenverbrauch, Emissionshandel oder der Abgaskatalysator erfunden wurden. Wichtig beim Mehrheitswahlrecht ist vor allem die klarere Politik. Die kann im schlimmsten Fall desaströs ausfallen, aber dann ist jedenfalls klar, wer den Mist zu verantworten hat. Wir dagegen feiern unser ausgewogenes Wahlsystem, das heute in Thüringen dazu geführt hat, dass sich Wahlverlierer zusammenschließen, um regieren zu können. Oder es führt zu großen Koalitionen, in denen sich überhaupt niemand mehr wiederfindet und bei denen der Entfremdungsprozess weiter vorangetrieben wird.

Wir sollten das ändern. Denn die Politiker werden es nicht tun. Selbst bei einer fiktiven Wahlbeteiligung von 1% werden sie weiterhin agieren können, ohne sich zwingend um das kümmern zu müssen, was sich Menschen an politischen Zielen wünschen. Kein Wunder, dass einer der höchsten politischen Vertreter Europas wie Martin Schulz immer gute Laune hat - er wurde als Person noch nie direkt in ein europäisches Amt gewählt, bestimmt aber wesentlich die Geschicke von mehr als 400 Millionen Menschen mit.

Da zeigt der kleine Ort im Mittelwesten der USA deutlich mehr politische Reife.

Amerika, Du hast es gut.

Mittwoch, 19. November 2014

ARD, ZDF und ein unangenehmer Würgreiz

Ja, ja, die Überschrift ist plakativ und kommt typisch Social Media-mäßig daher, immer das große Kaliber. Mea culpa! Aber in diesem Fall mache ich mildernde Umstände geltend, denn während ich diese Worte schrieb, zog ich mir ein Reisigbüschel über den nackten Rücken. Selbstgeißelung à la Stenzo, denn ich bekenne mich schuldig.

Als junger Hansdampf-in-allen-Gassen las ich weg, was mir vor die Nase kam. SPIEGEL, Stern und eine Tageszeitung. Ebenso befiel mich die Krankheit, jede mögliche Nachrichtensendung konsumieren zu müssen und darüber hinaus allerhand Journalistisches vom Auslandsjournal bis zum Weltspiegel. Inzwischen befallen mich Juckreiz und geballte Fäuste, wenn ich die einstmals geliebten und damals auch seriösen Formate konsumiere.

Hat sich meine Rezeption verändert oder der Inhalt der Nachrichten? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Vielleicht war ich früher unkritischer oder das, was sich beispielsweise in der tagesschau abspielte, war tatsächlich aus gusseisernem Journalismus geboren, nach dem Friedrich'schen Motto, sich nie mit einer Sache gemein zu machen. Ich neige zu letzterem.

Wenn ich mir die aktuelle Berichterstattung beispielsweise zu den Geschehnissen in Israel anschaue, befällt mich blanke Wut. Der ARD-Korrespondent scheint seine Moderationstexte direkt aus der Fatah-Zentrale zu erhalten. Rund um einen feigen, terroristischen Mordanschlag in einem Gotteshaus textet er unverdrossen von einem "ultra"orthodoxen Viertel, erwähnt mehrfach "ultra"rechte Siedler und verbreitet immer schön den Subtext, dass doch irgendwie die Israelis mitschuldig wären, warum umgeben sie sich auch mit Extremisten? Zum Schluss scheint er fast den Tränen nah, als er von der Zerstörung des Hauses berichtet, das der Familie eines Attentäters gehörte. Im ZDF kommt am selben Abend ausführlich vor allem die Familie der Attentäter zu Wort und hat auch letzteres im Beitrag. Alle Reporter und Moderatoren warnen nicht nur ständig vor der Eskalation, sondern vergessen nie, von gleichermaßen "beiden Seiten" zu sprechen, eine Analogie, die immer wieder auftaucht.

Die Logik am Ende des Tages: Wenn zwei palästinensische Cousins jüdische Betende in einer Synagoge abschlachten, wenn ein Fahrer ein Baby an einer Bushaltestelle mit seinem Auto tötet - dann gehört das irgendwie zum selben Spiel wie die israelische Seite, die sich erdreistet, Siedlungen zu bauen, denn mehr als dieses Argument lässt sich in den meisten Texten kaum finden.

Was wohl die geneigten Redakteure bei einheimischen Terroristen, z.B. denen der NSU oder früher der RAF oder heute irgendwelcher Salafisten in Deutschland texten würden? Hätten wir es da auch mit gleichermaßen zwei Seiten zu tun, die doch bitte nicht weiter eskalieren sollten? Könntet Ihr bitte etwas weniger Ausländer töten, dann setzen wir uns auch an einen Tisch?

Aus purer Gewohnheit, wie ein Trinker, der es nicht lassen kann, sehe ich mir tagesschau & Co noch an. Aber nicht mehr so regelmäßig wie früher. Und ich weine diesen einseitigen, unjournalistischen Medien nur eine sentimentale Träne der Vergangenheit nach, wenn das Internet sie irgendwann verschlingt. Wer sich so gemein mit dem Trend des Anti-amerikanismus und das allgemeinen Anti-Israel Gefühls macht, der soll eben irgendwann nur noch für 70jährige senden.

Montag, 10. November 2014

Der Ausflug



Schnellen Schrittes stiefelte ich nach hinten in die Molkereiabteilung und griff beiläufig irgendeine möglichst hochprozentige Milch. Die kostete gefühlt so viel wie ich normalerweise für eine Mittagsmahlzeit ausgebe, aber dieses Opfer muss man in einem Bioladen einfach bringen. Dafür wurde die Milch bestimmt persönlich von einer glücklichen Kuh gezapft, mit schwiemeligen Händen des Bauers, in dessen Mundwinkel eine Maispfeife klemmt.

Natürlich lief keine Musik, schließlich soll diese manipulative Beschallung eine Wohlfühlatmosphäre vermitteln und zum Konsum anregen. Stattdessen nur leise Geräusche schlurfender Birkenstöcke. Ich gebe es zu, ich habe einen Schuhtick. Sag mir, worin Du läufst und ich sage Dir, wer Du bist. Hier im Bioladen gabs eigentlich nur zwei Varianten: Entweder den nicht tot zu kriegenden, besagten Birkenstock oder den strapazierfähigen Trekkingschuh, natürlich in Kombination mit Jack Wolfskin Jacken und Rucksäcken, vor allem aber Jutebeuteln. Warum sind in einer Großstadt zahlreiche Menschen so angezogen, als wollten sie morgen die Wüste Gobi durchqueren und dabei jedem Wetter trotzen?

Als ich bezahlte, zog ich eine sehr zerknautschte aldi-Plastiktüte aus meiner Hosentasche und verstaute die Milch darin. Für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Niemand redete, fünf bis sechs Augenpaare der Sorte Deutschlehrer, Pilates-Anwenderin und unverstandener Alleinerziehenden richteten sich nur auf mich. Das Geraschel des Plastiks identifizierte mich eindeutig als Unmensch, für dessen Luxus Kinder in Südostasien schuften müssen, anstatt in die Schule gehen und später Windräder bauen zu können.

Ich verließ den Laden mit hohem Puls und kam mir vor wie nach dem ersten Bordellbesuch, wenn nur ein Gedanke den Kerl beherrscht: Hoffentlich hat mich keiner gesehen!

Das war gestern.

Heute kaufte ich bei aldi ein. Unter all den Proleten in ihren Jogginghosen, den schnellsten Kassiererinnen der Welt und dem gewohnt rustikalen Ambiente fühlte ich mich wohl wie ein Lachs in Alaska. Trotz eines Kleineinkaufs erwarb ich zwei Plastiktüten. Man muss gerüstet bleiben.